Meine persönliche Reise zur Hochsensibilität:
Von der Ablehnung zur Akzeptanz
Im Jahr 2006, ich arbeitete zu dieser Zeit gerade drei Wochen im Buchhandel, bestellte ein sehr sympathischer älterer Herr ein Buch bei mir. Und zwar mit den folgenden Worten: „Das müssen Sie unbedingt lesen! Das hat mir ein Trainer empfohlen, da werden Sie sich ganz neu verstehen und Ihre persönlichen Stärken entdecken.“ Es war das Buch von Georg Parlow über Hochsensibilität.
Ich wollte um jeden Preis weniger sensibel sein
Meine Reaktion war damals nur: “Hochsensibilität?”
Von diesem Wort fühlte ich mich regelrecht abgestoßen. Was sollte das sein? Und was für ein merkwürdiger Trainer empfiehlt so ein Buch?
Denn ich wollte um jeden Preis weniger sensibel sein und war unter Hochdruck auf der Suche nach Strategien, um unempfindlicher und stärker zu werden. Seit meiner Kindheit wurde mir erzählt, dass ich alles zu ernst nahm. Dass ich mir ein ‚dickeres Fell‘ zulegen müsse, wenn ich erfolgreich sein wolle.
Ich wollte die Welt so sehen, fühlen und erleben können wie alle anderen. Ein dickes Fell, so glaubte ich, würde jedes meiner Probleme lösen. Darüber brauchte ich ein Buch, nicht über Hokuspokus-Hochsensibilität!
Die Vielfalt der Sensibilität:
Unterschiede, Ausprägungen und die wunderbaren Stärken hochsensibler Menschen
Sensibilität (lat. sensibilitas) hat laut Brockhaus eine physiologische und eine psychologische Bedeutung. So bezeichnet der Begriff zum einen die Fähigkeit, Sinnesreize zu empfangen und zu verarbeiten, zum anderen meint er die Fähigkeit, auf Reize mit psychischen Prozessen zu reagieren. Sensibilität ist eine menschliche Eigenschaft, über die jede*r verfügt und die uns überlebensfähig macht.
Unsere Fähigkeiten sind aber immer verschieden stark ausgeprägt. Deshalb glauben wir, dass manche Menschen in bestimmten Bereichen begabter sind als andere. Auch die Intensität der Sensibilität variiert von Mensch zu Mensch und bewegt sich auf einer Skala von niedrig über mittel bis hoch.
30% aller Menschen verfügen über die Wahrnehmungsbegabung der Hochsensibilität
Neueste Forschungen haben ergeben, dass die Verteilung der Sensibilität etwa bei 30 % (niedrig), 40 % (mittel) und 30 % (hoch) liegt.
(Pluess, Michael [2015]: Individual Differences in Environmental Sensitivity. Child Development Perspectives, 9[3], 138–143).
30 % der Menschen bewegen sich also innerhalb des Skalenbereichs einer hohen Sensibilität – sie gelten als hochsensibel.
Hochsensible Menschen verfügen über die Fähigkeit, sehr viele Sinnesreize empfangen und verarbeiten zu können. Manche nennen dies auch „Wahrnehmungsbegabung“; ein schöner Begriff, wie ich finde.
Dabei kann es sich um gleichzeitig auftretende Reize handeln oder auch um eine intensivere Wahrnehmung einzelner Reize. Auch die innere Verarbeitung dieser Reize ist sehr viel intensiver und nachhaltiger. Das fühlt sich für hochsensible Menschen so an, als ob Erlebnisse in ihnen sehr lange nachhallen.
Wie ein Buch meine Sichtweise auf mich selbst veränderte
Damals in der Buchhandlung hatte ich davon noch keine Ahnung. Und natürlich habe ich das empfohlene Buch zuerst nicht gelesen. Literatur zu diesem Thema war im Jahr 2006 jedoch noch rar, und interessanterweise wurde dieser ‚Geheimtipp‘ immer wieder bei mir bestellt. Schließlich lieh ich mir das Buch in der Universitätsbibliothek aus.
Als ich zu lesen anfing, war das ein unglaubliches Aha-Erlebnis. Da schrieb jemand über mich, über mein Leben, meine Empfindungen, meine Wahrnehmungen! Alles schien plötzlich an den richtigen Platz zu fallen.
Meine persönlichen Erkenntnisse als hochsensible Person
Meine drei größten Erkenntnisse waren damals:
- Hochsensibilität ist eine körperliche Konstitution, ich kann mir gar kein dickeres Fell wachsen lassen.
- Ich bin nicht allein, es gibt noch viel mehr Menschen wie mich.
- Die anderen tun nicht immer so, als ob sie mich nicht verstehen wollen – sie empfinden einfach vollkommen anders als ich.
Dieser Moment war lebensverändernd für mich, und genau dies höre ich auch immer wieder von anderen hochsensiblen Menschen.
Von da an konnte ich meine Energie dafür nutzen, meine eigene, persönliche und individuelle Hochsensibilität zu erforschen und zu verstehen. Ich konnte viele Ereignisse in meinem Leben neu betrachten und auch neu bewerten.
Die Kraft der Selbstfürsorge:
Wie man durch bewusstes Handeln und Akzeptanz der eigenen Hochsensibilität ein erfülltes Leben gestalten kann
Das Wissen um die eigene Hochsensibilität macht es viel einfacher, auf die eigenen Bedürfnisse zu hören. Es fällt leichter, für sich selbst zu sorgen und so zu handeln, dass wir Energie und Kraft gewinnen.
Statt z.B. auf überfüllte oder laute Märkte zu gehen, weil wir denken: „Das machen doch alle, das müsste mir doch auch Spaß machen“ oder „Ich will kein Spielverderber sein“, können wir dann ganz gelassen sagen: „Das ist nichts für mich. Geh lieber mit einer anderen Person. Ich wünsche euch dort eine schöne gemeinsame Zeit.“
Wir brauchen nicht mehr von anderen Menschen erwarten, dass sie uns verstehen. Wir können uns Gleichgesinnte suchen, mit denen wir uns austauschen können. Wir sind in der Lage, sowohl uns selbst als auch die anderen anzunehmen. Ich bin richtig und du bist richtig.
Wenn wir etwas an uns als Schwäche empfinden, geht es vor allem darum, den eigenen Fokus zu verändern. Alles im Leben hat mehrere Seiten und kann aus verschiedenen Perspektiven betrachtet werden. Jede Schwäche hat ihre Stärken und jede Stärke hat ihre Schwächen. So kann die Auseinandersetzung mit den hochsensiblen Schwächen die eigentliche Superkraft zum Vorschein bringen.
Empathie als besondere Begabung hochsensibler Menschen
Viele Menschen versuchen heute, durch Achtsamkeitskurse und Meditationen empathischer zu werden. Uns hochsensiblen Menschen wurde Empathiefähigkeit mit unserer Geburt in die Wiege gelegt. Und das im wahrsten Sinne des Wortes: Studien haben gezeigt, dass das Gehirn hochsensibler Menschen aktiver ist. Dabei ist besonders der Bereich, der für Empathie zuständig ist, aktiver und sehr viel stärker ausgeprägt.
Ein hohes Einfühlungsvermögen birgt die Gefahr, sich in anderen Menschen zu verlieren oder sich vor lauter Weltschmerz ohnmächtig zu fühlen. Es kann für uns aber auch eine wahre Superkraft sein, denn es befähigt uns zu einer sehr guten Intuition und dem Vermögen, Lüge und Wahrheit schnell voneinander zu unterscheiden. Auch die Fähigkeit, Stimmungen in Gruppen wahrzunehmen und Trends in der Gesellschaft zu erkennen, fällt uns auf ganz natürliche Weise leicht.
Hochsensibilität als Stärke:
Wie die Akzeptanz dieser Begabung unsere Gesellschaft bereichert
Je länger ich mich mit Hochsensibilität beschäftige, desto bunter und beeindruckender wird mein Bild von dieser Begabung. Die Schwäche liegt nicht bei hochsensiblen Menschen, sie liegt in der Haltung unserer Gesellschaft, in der Definition von Stärke und dem Unwillen, Diversität anzuerkennen. Jede hochsensible Person, die sich mit ihrer Hochsensibilität auseinandersetzt und sie als Stärke annimmt, befreit nicht nur sich selbst, sondern gestaltet damit eine offenere, gesündere und vielfältigere Gesellschaft.
Ich wünsche allen hochsensiblen Menschen viel Freude, Kraft und Zuversicht auf diesem Weg!
Meine Empfehlung: Der Akademiekurs “Entdecke die Stärke deiner Hochsensibilität”
Ziel des Kurses ist es, deine hochsensiblen Stärken zu entdecken und zu erleben. Nach einer Einführung und einem Test zur individuellen Ausprägung der Hochsensibilität, lernst du negative Glaubenssätze umzuschreiben und Achtsamkeitstechniken anzuwenden, um deine Gedanken auf deine Stärken zu lenken. Der Kurs bietet viele kreative Methoden, um deine Fähigkeiten und Ressourcen zu entdecken. Es werden verschiedene Methoden wie Impulsvorträge, Tests, Meditationen, Biografiearbeit, Achtsamkeitstechniken, Stärkenanalyse und Ressourcenbaum angeboten. Am Ende des Kurses wirst du deine hochsensible Geschichte reflektiert haben und dich mit deinem Potenzial und deinen Stärken annehmen können.
